Blog
Nov 10, 2025 - 7 MIN READ
io_uring: Die Zukunft von High-Performance I/O unter Linux

io_uring: Die Zukunft von High-Performance I/O unter Linux

Ein praxisorientierter Blick auf io_uring – warum es klassische I/O-Modelle herausfordert, wie es funktioniert und wann sich der Einsatz wirklich lohnt.

Dennis Agostinho da Silva

Dennis Agostinho da Silva

Linux I/O entwickelt sich rasant – und seit Kernel 5.1 gibt es eine API, die diese Entwicklung maßgeblich verändert: io_uring.
Was als „besseres AIO“ startete, ist heute ein leistungsfähiges Fundament für moderne, hochskalierende Netzwerk- und Storage-Anwendungen.

In meiner Arbeit im industriellen Umfeld sowie in einer umfangreichen Abschlussarbeit konnte ich io_uring in realistischen Netzwerk-Szenarien testen. Dieser Artikel fasst zusammen, was io_uring besonders macht – und wann sich der Einsatz lohnt.


Warum überhaupt eine neue I/O-Schnittstelle?

Traditionelle Linux-I/O-Modelle wie read(), write(), select(), poll() oder epoll() stoßen in modernen Systemen zunehmend an Grenzen:

  • Jeder Systemaufruf bedeutet einen Kontextwechsel → CPU-Overhead
  • Kopieren zwischen User- und Kernelspace → zusätzliche Latenz
  • Viele Anfragen = viele Syscalls → skalieren schlecht
  • Sicherheits-Patches (Spectre/Meltdown) haben Systemaufrufe noch teurer gemacht

Kurz gesagt:
Je mehr Daten oder Verbindungen ein Prozess handhabt, desto stärker wird er durch die Kosten des I/O-Modells limitiert.


Was ist io_uring?

io_uring ist eine moderne Linux-API für asynchrone I/O-Operationen.
Sie basiert auf zwei gemeinsam genutzten Ringpuffern (Memory-Bereichen), über die User- und Kernelspace miteinander kommunizieren:

  • Submission Queue (SQ) → Befehle an den Kernel
  • Completion Queue (CQ) → Ergebnisse vom Kernel

Der Clou:
👉 Die Interaktion funktioniert ohne wiederholte Systemaufrufe und ohne Datenkopien.

Was io_uring besonders macht

  • Batching: Viele I/O-Requests mit einem einzigen Syscall abschicken
  • Zero-Copy fähig
  • Minimierte Kontextwechsel
  • Asynchronität ohne komplexes Thread-Handling
  • Hohe Skalierbarkeit bei Netzwerk- und Datei-I/O

Damit eignet sich io_uring exakt für Systeme, die…

  • tausende gleichzeitige Verbindungen verwalten,
  • große Datenmengen verschieben,
  • niedrige Latenz benötigen,
  • bisher mit epoll an Grenzen stoßen.

Wie funktioniert io_uring (kurz & verständlich)

Statt einen Systemaufruf pro Operation durchzuführen, macht die Anwendung Folgendes:

  1. Füllt einen oder mehrere Submission Queue Entries (SQEs)
  2. Ruft einmal io_uring_enter() auf
  3. Der Kernel arbeitet alle SQEs ab
  4. Fertige Operationen erscheinen als Completion Queue Entries (CQEs)
  5. Die Anwendung „holt“ die Ergebnisse ab

Dadurch reduziert sich die Syscall-Anzahl drastisch.


io_uring in der Praxis – echte Messergebnisse

In meiner Abschlussarbeit habe ich io_uring in einem realistischen Netzwerk-Setup getestet.
Der Router leitete über ein TUN-Interface NAT-Traffic zwischen Client und Server.
Verglichen wurden:

  • Traditionelles epoll-basiertes I/O
  • io_uring (verschiedene Queue-Größen)

🔥 Ergebnis: io_uring skaliert deutlich besser

Single-Core-Test

Queue DepthDurchsatz (pkt/s)
epoll~93k
io_uring QD1~93k
io_uring QD64~210k+
io_uring QD1024~265k

👉 Bis zu 3× mehr Durchsatz bei hoher Last.

Multi-Core-Test

Der Vorteil bleibt bestehen:
io_uring lieferte bis zu 2.8× höheren Durchsatz im Vergleich zum klassischen Modell.


Reduzierte Systemaufrufe = massive CPU-Einsparung

Bei einer Queue Depth von 1024 konnte io_uring die Anzahl der Systemaufrufe pro Testlauf nahezu eliminieren – im Gegensatz zu epoll, das pro Paket zwei Syscalls benötigt (read + write).

Das bedeutet:

  • weniger CPU-Last
  • weniger Kontextwechsel
  • stabilere High-Load-Performance

Wo io_uring wirklich glänzt

✔ High-Performance-Netzwerkserver

Webserver, Reverse-Proxies, VPNs

✔ Systeme mit extrem vielen Verbindungen

IoT-Gateways, industrielle Fernwartung, Proxies mit persistenten Sessions

✔ Storage-lastige Workloads

Datenbanken, Fileserver, Object Stores

✔ Virtualisierung & Container-Networking

Hypervisor I/O, Overlay-Netzwerke, TUN/TAP-Traffic

Gerade in Proxies oder Aggregationsservices (z. B. IP-Multiplexer) kann io_uring CPU-Engpässe signifikant entschärfen.


Die Trade-offs: Nicht alles ist Gold

Trotz aller Vorteile gibt es Gründe, nicht sofort alles auf io_uring umzubauen.

❌ Höhere Komplexität

Die API ist mächtiger, aber auch anspruchsvoller als klassische I/O-Modelle.

❌ Debugging wird anspruchsvoller

Asynchronität + shared memory + batching = mehr Raum für subtile Fehler.

❌ Nicht jede Anwendung profitiert

Bei kleinen Workloads oder wenig I/O wird der Vorteil nicht spürbar.

❌ Kernel-Feature-Parität

Nicht alle syscalls sind als native io_uring-Operation verfügbar.


Sollte man io_uring heute schon einsetzen?

Kurze Antwort:
👉 Wenn du Performance brauchst: Ja.

Lange Antwort:
io_uring ist gereift, stabil, in allen relevanten Linux-Distributionen verfügbar und erlaubt Performance-Optimierungen, die mit klassischen Modellen unmöglich sind.

Besonders spannend:

  • Netzwerk-Stacks werden weiter optimiert
  • Projekte wie liburing, io_uring-networking und uring-based Webserver wachsen
  • große Player (z. B. Meta, Cloudflare, RedHat) pushen das Ökosystem weiter

io_uring ist kein Experiment mehr – es ist ein neues Fundament.


Fazit

io_uring hebt Linux-I/O auf ein neues Level.
Die Kombination aus:

  • gemeinsamen Ringpuffern
  • weniger Systemaufrufen
  • Zero-Copy-Potenzial
  • massiver Skalierbarkeit

macht es zu einem der spannendsten Features des modernen Kernels.

Für Anwendungen, die hohe Last, viele Verbindungen oder große Datenmengen handhaben müssen, ist io_uring ein echter Game-Changer.

Ich persönlich setze es bereits in Prototypen, Netzwerkkomponenten und Industrie-PoCs ein – und sehe in vielen Projekten enormes Potenzial.


Wenn du Fragen zu io_uring hast oder Interesse an einer praxisnahen Implementierung – melde dich gerne!

Built by perspectivity.dev • © 2025